von Ulli Jaksch
Mein ursprünglicher Plan war es, irgendwann im Leben ein Buch zu schreiben. Das kann noch kommen. Ende der 1990er Jahre hatte ich weder Zeit, noch Thema, noch Inspiration dazu. Irgendetwas jedoch musste es sein. Die Vorstellung, ein Feldenkrais® Buch zu schreiben, hat mich so erschrocken, dass ich sie sofort wieder verwarf. Meine Bücher sind Hörbücher geworden, also Audio CDs
Vorbehalte
Bevor ich mich an das Ausarbeiten der tatsächlichen Feldenkrais® Lektion machte, habe ich mir zurecht gelegt, wie die CD veröffentlicht werden sollte. In Frage kam für mich nur Eines: Professionell!
Das bedeutete: Kein am Homecomputer zurecht gestricktes Cover, keine Sprachaufnahme zu Hause mit Gratis-Software und keine Eigenproduktion mit Verkauf aus dem Bauchladen.
Also musste zuerst einmal ein Verlag her.
Dazu kann ich von großem Glück berichten. Eine meiner Klientinnen, Elisabeth A., arbeitete bei Ö1 als Redakteurin und Sendungsgestalterin. Eines Tages fasste ich mir ein Herz, erzählte von meinen Plänen und Wünschen und fragte sie, wie so etwas zu realisieren sei. Danach ging alles sehr schnell. Nicht nur stellte sie den Kontakt zu einem Verlag her, sondern sie bot sich auch als Produzentin an. Sie würde die gesamte Produktion redaktionell begleiten. Der Verlag Jumbo Neue Medien ist in Hamburg beheimatet und auf Hörbücher spezialisiert. Ich habe Chefin und Chef kennen gelernt, ihnen die Feldenkrais® Methode nahe gebracht und mich selber auch. Eine Auflage nämlich, ohne die es nicht gegangen wäre, war, diese CD-Aufnahme selbst zu sprechen. Ich habe eine Hörprobe nach Hamburg geschickt. Die „Jumbos“ waren einverstanden. Das hat mich sehr gefreut! Alle dürfen hören, dass eine Österreicherin spricht. (Ich war anfangs nicht sicher, ob das gehen wird.)
Erkenntnis: Diese Bedingungen waren ohnehin nie verhandelbar.
Komposition
Die Entstehung einer Feldenkrais® CD als Komponieren zu betrachten, gefällt mir. Einer inneren Idee folgend Bausteine zusammen zu stellen, ihnen immer wieder zuzuhören, sie umzugruppieren, ihnen Sinn und Zusammenhang zu geben, sie wieder zu verwerfen und zu erleben, wie sich das Alles nach und nach stimmig zu einem Ganzen zusammen fügt… und dann irgendwann zu wissen, dass es fertig ist.
Erkenntnis: Das ist ein schöner Prozess. Und einer, der dauert.Vor allem für die erste CD.
Die Erste, die 2001 veröffentlicht wurde, ist die Beckenuhr. Untertitel: Bringen Sie Ihr Becken in Schwung. Warum gerade die? Ich weiß es nicht. Die Beckenuhr ist aus mir heraus gebrochen.
Ich saß monatelang, immer wieder für Stunden, schreibend vor dem Computer. Obwohl es ein recht dynamisches Schreiben war. Ich, feldenkraisend auf dem Boden, ich, schreibend auf dem Sessel, ich, wieder auf dem Boden…
Zu Beginn habe ich jede Anleitung vor mich hin gesprochen und befolgt. Oder umgekehrt, meine Bewegungsabläufe in Worte gefasst. Ich habe stundenlang geschrieben, das Ganze aufgenommen, angehört, mitgemacht. Danach habe ich stundenlang Korrekturen geschrieben. Ich habe die unfertige Komposition auch immer wieder für Tage oder Wochen einfach gelassen und sie dann wieder, mit neuer Aufmerksamkeit, hervor geholt. Von „Oh, das klingt schon sehr gut“ bis zu „Na gut, zurück an den Start“ war alles drin.
Vom Wert der Sprache
Eine meiner wichtigsten, selbstauferlegten Herausforderungen ist das Finden von immer wieder neuen Wörtern und Bildern. Ein Beispiel: Zu einem Ende kommen – aufhören – gut sein lassen – für den Moment genügen lassen – ausklingen lassen – zum Abschluss bringen – es bleiben lassen – ruhen dürfen.
Wie viele unterschiedliche Wörter gibt es für den Begriff „spüren“? In den letzten Jahren habe ich mir Listen angelegt für Feldenkrais® Beschreibungen und Wörter. So manche habe ich von meinen KlientenInnen geschenkt bekommen.
Anleitungen müssen klar und verständlich sein. Kurze Sätze. Keine Fremdwörter. Mit dem Wort „und“ sparsam sein. Schwierig ist das für die sprachaffine Autorin.
Erkenntnis: Ich neige mitunter zur Langatmigkeit.
Ich muss damit rechnen, dass auch Menschen ohne Vorerfahrung mit meinen CDs in Kontakt kommen. Das möchte ich natürlich auch. Anleitungen dürfen nicht als Befehl ankommen. Sie sollen trotz aller Klarheit Freiräume lassen. Ich übe mich sprachlich im Spagat zwischen Genauigkeit und vorsätzlicher Feldenkrais®-Unschärfe. Damit niemand verloren geht.
Ich überprüfe jede Anleitung auch dahingehend, wie viele Fehlinterpretationen sie erlaubt. Es bleiben dann immer noch genügend Möglichkeiten für Missverständnisse übrig. Ich stelle allerdings fest, dass sich das verändert. Es stört mich kaum mehr, wenn ich höre, dass Zehe und Zehenballen für viele Menschen dasselbe bedeutet und die Geschichte deshalb für Schwierigkeiten sorgt.
Erkenntnis: Ich bin nicht verantwortungslos, sondern habe mehr Akzeptanz für individuellen Unfug entwickelt.
Ich habe zu Beginn nach dem Rat einer erfahrenen Feldenkrais® Kollegin gefragt. Das hat mir sehr geholfen. „Du darfst die Leute nicht belehren.“, sagte sie mir. „Das wollen die nicht. Es genügt, wenn Du Feldenkrais® unterrichtest. Du musst nichts extra erklären.“
Wörter sind nicht genug
Die Spieldauer meiner CDs beträgt ungefähr eine Stunde. Ich habe die Lektionen in zwei oder drei Teile gegliedert.
Die Pausen brachten mich ein wenig zum Schwitzen. Anfangs habe ich mit Sekundenangaben gearbeitet. Ich musste meine Texte schon im Vorfeld immer wieder laut lesen, mit unterschiedlichen Betonungen, um mich in Redefluss, Tempo und Sprachmelodie zu üben. Zischelnde Tsss und Ssss wollten geglättet werden. Endsilben verschlucken darfst du nicht. Es heisst „Ge – hen“. Auch wenn du dir ein bisschen blöd dabei vorkommst.
Erkenntnis: Speichelfluss sollst du überhaupt keinen haben und Schluckgeräusche erst recht nicht.
Der Blick von außen
Vor allem bei den ersten CDs habe ich auf Rückmeldungen von TesterInnen gesetzt. Später hat sich heraus gestellt, dass es mehr brachte, die geplante Bewegungslektion für unterschiedliche Gruppen zu unterrichten, live zu beobachten und um spontanes Feedback zu bitten.
Meine Produzentin Elisabeth A. war mir in vieler Hinsicht Stütze und Begleiterin. Sie hat meine Texte gelesen und, wenn nötig, geputzt. Vor allem ihre feinen Ohren, die mich von der Autorin zur Sprecherin gemacht haben, waren unverzichtbar.
Auf einer CD habe ich vom, mir ungewohnt klingenden, Ellenbogen gesprochen. „Den“ Kiefer habe ich verweigert. Danke Duden, dass Du mir auch „das“ Kiefer erlaubt hast.
Im Studio
Dieser Teil der CD Produktion macht mir den allermeisten Spaß. Es geht immer erstaunlich schnell. In etwa zwei Stunden ist die Aufnahme gelesen, vorgetragen. Was ich dabei zu tun habe: Den Text vorbereiten mit den Buchstaben in meiner Lesegröße, den Text so gut wie auswendig können, unhörbar blättern, genügend trinken, nicht schmatzen, nicht herum wetzen, Geduld haben, mich anleiten lassen von der Produzentin und von der TontechnikerIn, ansonsten den Mund halten.
So ein Studio ist mitunter eine Wunderkammer. Meine jedenfalls waren es. Diejenigen, die meine Produzentin ausgewählt hat, waren allerfeinste Orte. Zuerst waren wir im SWR (Südwestrundfunk) in Stuttgart. Wir waren in einem kleinen Studio, in dem auch Hörspielaufnahmen gemacht werden. Da gibt es Fenster und Türen zum Aufreißen und Schließen, Stufen, stille und knarrende, Wege mit unterschiedlichen Belägen für unterschiedliche Geräusche. Ich war begeistert.
Denn, so wie ich erfuhr, werden intime Sprachaufnahmen am besten in kleinen intimen Räumen gemacht. Es gibt für die CDs Aufnahmen vom Raumklang für die Pausen, also vom leeren Studio, und solche, wo ich nur still sitze und atme.Wenn Du die Ohren aufsperrst, hörst du das. Es hat mich sehr berührt, als die Tontechnikerin erzählte, sie hätte bei der finalen Bearbeitung mitgedacht und mitempfunden und dadurch genau gewusst, wo sie eine Pause länger oder kürzer machen muss.
Zuletzt waren wir in Wien, im Funkhaus in der Argentinierstraße. Mit ebenso erfreulicher technischer Begleitung und Unterstützung. Mit einem Tontechniker, der feine Töne zu schätzen weiß. Und der es letztendlich sogar wunderbarerweise geschafft hat, ein einzelnes B irgendwo zu kopieren und es an der richtigen, zuerst genuschelten Stelle, wieder einzufügen. So etwas kostet üblicherweise ein Flasche Rotwein. Ich durfte mich mit meinen vorigen Feldenkrais® CDs erkenntlich zeigen.
Modelle
Den Rhythmus der Feldenkraisstunde zu treffen ist in der Aufnahmesituation nicht ganz einfach. Ich habe den Anspruch, dass die Studioaufnahme so nahe am lebendigen Live-Unterricht ist, wie es nur geht. Im Erzählton, ja fast im Plauderton möchte ich sprechen. Ich möchte mehr erzählen, als lesen. Auch wenn wir „per Sie“ sind, möchte ich persönlich klingen. Meine Produzentin und ich haben uns auf ein Modell geeinigt, das während der Aufnahme, die Feldenkrais® Lektion mitmacht. Die Person sollte mir helfen, stellvertretend für alle anderen HörerInnen das richtige Zeitmaß zu treffen.
Das erste Modell war eine Freundin, die mir meine Bitte nicht abschlagen wollte. Sie hat die Bewegungen herunter geturnt hat und war sichtlich erleichtert, als es vorbei war. Ich habe sie bei der ersten Möglichkeit in aller Liebe nach Hause geschickt.
Das zweite Modell war ambitioniert. Es setzte sich zwischendurch auf oder rief „Warte, könntest Du an dieser Stelle nicht vielleicht so… sagen?“ Es wollte verbessern. Ich habe dieser Frau gesagt, dass wir sehr dankbar sind, doch es sei leider zu spät, etwas zu verändern. Sie wollte bleiben bis zum Schluss und nichts versäumen.
Für die dritte und vierte CD kam jeweils dieselbe Frau ins Studio. Sie hat ihre Rolle perfekt erfüllt: Feldenkrais® Modell gesucht für Studioaufnahme, Vorerfahrung nicht zwingend, Interesse erwünscht, sollte sich leise bewegen können, Mitdenken und -empfinden von Vorteil, Mitreden nur auf Anfrage.
Die fünfte CD nahm ich ohne Modell auf.
Erkenntnis: Auch dafür bekommt frau Routine.
Verlagsarbeit
Ich bekam für jede CD eine Ansprechpartnerin im Verlag. Jemand betreut das jeweilige Projekt vom Erhalt der Tonaufnahme bis zur fertigen CD. Das verlangt viel Zeit und Arbeit, manchmal auch gute Nerven. Es braucht für Cover und Booklet einen Kurztext über die Methode, über den Inhalt der CD, über die Wirkungen und für wen es gut ist (es soll ja verkauft werden!), eine Kurz-Biografie der Autorin, eine Anleitung dafür, wie man an die Feldenkrais® Methode heran geht. Das Ganze ist auf einen vorgegebenen Platz zu reduzieren. Und dann! Dann braucht es noch ein Foto für das Cover und ein Layout für alles und ein bestimmtes Erscheinungsbild.
Ich bin meinem Verlag sehr dankbar für die Freiheiten, die ich bekam. Es gab keinerlei Einmischung bei Themenwahl und Ausarbeitung. Das heißt, die CDs schauen genau so aus, wie ich mir das erträumt habe. Ich habe große Freude an ihnen. Das heißt natürlich auch, dass ich von Anfang bis zum Ende an jedem Schritt mitgearbeitet habe. Manchmal war ich müde vom Erklären, dass z.B. Feldenkrais® immer ein hochgestelltes ® braucht. Immer. Oder vom Diskutieren über den Unterschied von warmen und kalten Farbtönen und dass Ziegelrot, Orange und Weinrot nicht dasselbe ist.
Unerwartete Erfahrungen mit Verhandeln und mildem Drohen machte ich auch. So wollte die Betreuerin einer CD nicht und nicht von einem Cover-Foto abweichen, auf dem sich eine halbnackte Frau mit schmerzverzerrtem Gesicht selber in den Nacken zwickt. Tagelanges Erklären, was und wie Feldenkrais® ist und warum so nicht, war angesagt. Ich habe auf Verständnis gesetzt. Irgendwann jedoch habe ich mitgeteilt, die CD nicht zu bewerben, wenn sie kein anderes Foto bekommt. Die Verlagschefin musste eingeschaltet werden und war auf meiner Seite. Wir haben uns geeinigt. Am Ende gefiel das gewählte Foto allen.
Erkenntnis: Bei der Cover-Gestaltung kenne ich keinen Spaß.
Und eines Tages kommt dann der große Tag der Entscheidung darüber, ob die CD in Produktion gehen darf.
Merke: Die Wichtigsten, die du von deinem Produkt überzeugen, musst, sind die Mitglieder der sogenannten Vertreterkonferenz. Die sind es nämlich, die dann die CDs dem Handel anpreisen und damit wesentlich über den weiteren Verkauf entscheiden.
Ich habe mir sehr viel Zeit genommen. Wie gut sich das auf meinen persönlichen Lern- und Verständnisprozess der Feldenkrais® Methode ausgewirkt hat, merkte ich erst nach und nach.
Meine CDs: Die Beckenuhr / Drehen und Wenden / Sichtweisen – Feldenkrais® für die Augen und das Sehen / Kiefer, Nacken, Wirbelsäule / Lebendige Füße (Erschienen bei Goya Special, Jumbo Neue Medien & Verlag GmbH). Sie sind auch als mp3 Download erhältlich. Bei mir bekommst du sie auch (also doch Bauchladen).
Ob es weitere CDs geben wird? Keine Ahnung.